Bildkompetenz 5: Pikturalität

Wenn jemand ein gegenständliches Bild zwar als syntaktische Struktur auffassen kann, die sich von ihrer Umgebung unterscheidet und auch auf etwas verweist, aber kein Sujet in ihr zu erkennen vermag, dem fehlt die piktorale Kompetenz, ein Bild als solches wahrzunehmen. Statt Gegenstandstypen sieht er auf dem Bild nur Farb-Form-Strukturen. Posener (2003)
Im Bereich der Sprache gibt es die Wernicke-Aphasie als Unfähigkeit bzw. Verminderung der Fähigkeit, den sprachlichen Zeichen den entsprechenden Inhalt zuordnen zu können. Möglicherweise gibt es Vergleichbares im Bereich der Bildwahrnehmung (oder der visuellen Wahrnehmung überhaupt). Demzufolge könnten nur „Erscheinungen“ oder Bildzeichen wahrgenommen werden. Die Zuordnung zum dazugehörenden Inhalt würde aber zumindest teilweise misslingen. Umgekehrt wird von den Betrachtern vom Bild automatisch erwartet, dass es „etwas“ zeigt - und nicht nur abstrakte Bildzeichen. Inwieweit es eine Pikturalität der Gefühle, Emotionen und Motive oder eine solche von „Ideen“ gibt, ist eine weitere Frage. Sie wird vorab in der Kunstgeschichte beispielsweise am Werk eines Marc Rothko thematisiert.
In jüngster Zeit bekam und bekommt das Problem der Pikturalität im Zusammenhang mit dem computergenerierten Bild eine neue Aktualität. Simulierte Objekte und Bildwelten verfügen über eine Oberflächen- (das generierte Bild) und eine Tiefenstruktur (die bildgenerierenden Algorithmen). Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Bild einen tatsächlich existierenden Gegenstand, einen virtuell-möglichen oder einen fiktiven darstellt.
Didaktisch:
Ein spannendes Anwendungsgebiet stellen die Fraktale dar: rekursive Computeralgorithmen, mittels derer sich Formen darstellen lassen. Die Kinowelten von heute werden u.a. auch von Cyborgs (kybernetische Organismen) bevölkert. Auch dies sind neue Formen der Pikturalität.
  • v. Amelunxen, H. u.a. (1996) (Hrsg.) Fotografie nach der Fotografie. Dresden: Verlag der Kunst.